Tschernobyl. Stimmen
Die in der Ukraine geborene und in Weißrussland aufgewachsene Journalistin und Literatin Swetlana Alexijewitsch benennt den 26. April 1986, den Tag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, als eine Zeitenwende: »Die bekannte Welt – eine neue Welt. Wie sollten wir begreifen, wo wir uns befanden?«. Über nahezu 20 Jahre interviewte sie Menschen in Bezug auf das Reaktorunglück. Sie wollte verstehen. Die kolossale Hybris des Menschen durch die schicksalhaften Erlebnisse vieler: Soldaten, Witwen der Liquidatoren, Mütter, Kinder, hochdekorierte Wissenschaftler und Bauern – sie alle führen uns in literarisch bearbeiteten Interviews die ausgelöste Sinnkrise, den Hang des Menschen zu philosophischer Befragung und die nahezu prophetische Kraft der Katastrophe vor Augen.
Die Geschichte der Katastrophen war angebrochen und mittendrin der Mensch – klein, winzig sogar, und gänzlich schutzlos. Heute herrscht Krieg in Europa. Und die im Buch deutlich greifbare, weil viel geäußerte Fassungslosigkeit, sie scheint mit einem Mal um ein Vieles verständlicher. Wenn eine einzelne Stimme davon spricht, dass Weißrussen und Ukrainer nie etwas für die Ewigkeit besessen haben, »nicht einmal Erde«, dass ständig jemand kam, um es ihnen wieder wegzunehmen, um ihre Spuren zu verwischen, dann hat das erschreckende Tagesaktualität. Es ist erstaunlich, auch das wird gesagt, wieviel Schrecknisse in eine einzige Lebensspanne passen: der Holodomor - der »große Hunger« von 1931, gefolgt vom zweiten Weltkrieg und dessen Nazi-Gräueln, dann Tschernobyl und der Untergang der Sowjetunion.
Der Tod scheint eine feste Größe in der neueren ukrainischen Geschichte. »Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft«, erschienen 1997, liest sich dahingehend auch als großes pazifistisches Manifest. Doch die Hoffnung auf friedliche Zeiten: sie hat sich nicht bewahrheitet. Sollte der Mensch tatsächlich dazu verdammt sein, die sich wiederholende Geschichte wieder und wieder zu durchlaufen, unfähig, etwas daran zu ändern?
Swetlana Alexijewitsch erhielt 1998, mit Erscheinen der deutschen Übersetzung von »Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft« den Buchpreis zur europäischen Verständigung und 2015 den Nobelpreis für Literatur.
Inszenierung
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Bühne und Kostüme
Licht
Dramaturgie
Musik
Video
»Eine Uraufführung, die auf den Magen schlägt. (...) ›Ich fände es schon ganz schön, wenn Leute mit einem unangenehmen Gefühl im Bauch hier rausgehen‹, sagte Köhler in einem Interview zu dem Stück. Mission erfüllt.«
Saarbrücker Zeitung, Sebastian Dingler, 07. Juni 2022
»Ein nachdenklich stimmender Theaterabend. […] Im Grenzgebiet zwischen Journalismus und Literatur entsteht […] eine bühnenreife Sprache von einer Reflexionswucht, wie man sie sonst nur von Tolstoi oder Tschechow erwarten würde.« Mehr hören ...
Jochen Erdmenger, SWR2, 03. Juni 2022