Geschichte des Saarländischen Staatsorchesters

Heute ist das Saarländische Staatsorchester ein durch seine über hundertjährige Tradition fest im Saarländischen Kulturleben verwurzeltes Ensemble mit internationaler Ausstrahlung, das sich seit der Zeit seines Bestehens mit einem vielseitigen Konzertbetrieb einen individuellen, nur hier anzutreffenden Klang erwerben konnte. In den letzten Jahren konnte es so Stars der Klassikwelt wie beispielsweise Marc Minkowski, Thomas Sanderling, Camilla Nylund, Christian Elsner, Simon Höfele und Daniel Müller-Schott als Gäste der Sinfoniekonzerte für sich gewinnen.

1912—1945 Professionalisierung und Zusammenbruch

Am 14. Juni 1912 wird in Saarbrücken das erste Berufsorchester des Saarlands ins Leben gerufen, das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde. Auf diese Gründung, die dem wachsenden Wohlstand und Kulturbewusstsein der Region Rechnung trug, geht die inzwischen über einhundertjährige Tradition des Saarländischen Staatsorchesters zurück. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs betätigt sich das rund 40-köpfige Ensemble als Opern- und Kurorchester und betreibt darüber hinaus ein eigenes Konzertwesen. Erste Spielstätte der heimischen Konzerte ist der städtische Saalbau, erster Chefdirigent wird Victor Cormann, der sich bereits als Dirigent der Saarbrücker Ensembles verdient gemacht und die Gründung wesentlich vorangetrieben hatte. Nach mühsamen Versuchen der Neubelebung nach dem Krieg und mannigfachen nationalistischen Reibungen mit der französischen Besatzung gelingt schließlich im Jahr 1922 mit der Berufung Felix Lederers zum Generalmusikdirektor ein veritabler Neuanfang. Der renommierte Prager Dirigent leitet die Geschicke des nunmehrigen Städtischen Orchesters bis zu seiner erzwungenen Pension im Jahre 1935. In diesen dreizehn Jahren formt er das Saarbrücker Orchester allererst zu einem hochprofessionellen Klangkörper. So kann es unter seiner Leitung beispielsweise zur ersten Saarbrücker Gesamtaufführung des Rings des Nibelungen im der Spielzeit 1924/25 kommen.

Nach dem Anschluss des Saargebiets 1935 an das Deutsche Reich gibt nicht nur GMD Lederer erzwungenermaßen als Jude seinen Posten auf. Sämtliche jüdischen Orchestermitglieder verlieren bis 1936 ihre Stellungen. Vorausgegangen waren jahrelange Hetze in der Presse und Diskriminierung durch die Ämter. Im NS-Staat gerät das Orchester des Gautheaters Westmark, wie es ab 1938 heißt, zunehmend in den Bannkreis der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Neben dem Dienst für das neu errichtete Gautheater Westmark (Eröffnung 1938 mit Wagners Fliegenden Holländer) firmiert es in diesen Jahren auch in zahlreichen parteilichen Sonderveranstaltungen. So etwa gastiert an einem Festabend zum Jahrestag der Saarabstimmung am 14. Januar 1936 die Pianistin Elly Ney mit Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 54. Bis 1937 führt GMD Wilhelm Schleuning das Orchester, dann übernimmt seine Leitung Heinz Bongartz, der ihm bis zu seiner vorläufigen Auflösung 1944 vorsteht.

1945—1977 Restauration und Internationalisierung

Wieder als Städtisches Orchester präsentieren sich die neu zusammengetretenen Saarbrücker Musiker erstmals im Januar 1946 mit den Ouvertüren zu Mozarts Zauberflöte und Beethovens Egmont. Als erste Musiktheaterproduktion begleitet es rund ein Jahr später Willibald Glucks Oper Orpheus und Eurydike; am Pult steht der neue Musikalische Oberleiter und Chefdirigent Philipp Wüst. Dem Mangel der Nachkriegszeit, der sich auch im verödeten Notenarchiv niederschlägt, kann im April 1947 mit einer Patenschaft durch die Pariser Association des Concerts-Colonnes begegnet werden. Hiermit beginnt eine lange Tradition der Frankophonie im städtischen Saarbrücker Konzertbetrieb. In die 16-jährige Direktionszeit Wüsts fallen so Saarbrücker Erstaufführungen von Kompositionen etwa Maurice Ravels oder Albert Roussels. Eine weitere Tradition begründet in dieser Zeit die Einrichtung der Kinder- und Jugendkonzerte. 1963 wird Siegfried Köhler, der zuvor die Oper Köln als kommissarischer GMD geleitet hatte, zum neuen Generalmusikdirektor berufen. Gemeinsam mit Intendant Hermann Wedekind entfaltet sich in den folgenden Jahren ein reges internationales Austauschprogramm: Als Teil der Internationalen Theatertage studiert das Orchester, über den eisernen Vorhang hinweg, mit osteuropäischen Künstlern Werke des Musiktheaters ein; eine deutsch-georgische Zusammenarbeit ab 1973 initiiert gar eine Städtepartnerschaft Saarbrückens mit Tiflis. Als bekannte Solisten treten in den Sinfoniekonzerten etwa Martha Argerich, Maurice André und Jörg Demus auf. Als weitere Höhepunkte der mitunter „golden“ genannten Ära Köhlers zählen die Realisierung von Mahlers 8. Sinfonie (Sinfonie der Tausend), der erste Saarbrücker Ring in Originalbesetzung sowie eine hochkarätig besetzte Verdi-Festwoche. Nach Köhlers Weggang 1974 übernimmt der damals 28-jährige Christof Prick für drei Jahre das Regiment über das Orchester des Saarländischen Staatstheaters, wie es seit 1971 interimsmäßig heißt.

1977 bis heute

Im Jahr 1977 erfolgt die schließlich letzte Umbenennung: Das Orchester des Staatstheaters darf sich nun offiziell Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken nennen. Materiell schlägt sich der damit verbundene Prestigegewinn in einer Anhebung der Vergütungsstufe in die Gruppe TVK B nieder. Künstlerisch führt als neuer GMD und Operndirektor der vom Theater Lübeck wechselnde Matthias Kuntzsch das Orchester zu neuen Erfolgen. In seiner achtjährigen Direktionszeit dirigiert Kuntzsch über 100 Konzerte und rund 75 Opern, darunter illustre Neuheiten wie György Ligetis Le Grand Macabre oder selten gehörte Perlen wie Eugen d’Alberts Golem, letztere im Rahmen einer dem Komponisten geweihten Festwoche. Das „SSO“ ist jetzt bereits ein gefragtes Gastspielorchester: Das Flandern Festival, das Rokoko-Theater Schwetzingen, die Frankfurter Alte Oper und Stuttgarter Liederhalle sind einige der auswärtigen Stationen dieser Jahre.

1985 wird Jirí Kout Chefdirigent. Der tschechische Musiker macht sich am Staatstheater als tiefsinniger Interpret Bruckners und Mahlers einen Namen, brilliert aber auch mit Kompositionen seines Heimatlands. Unter seiner Direktion kann 1990 abermals – nach ´25, ´68 und ´78 – eine zyklische Aufführung des in Saarbrücken vielbeliebten Rings des Nibelungen stattfinden. Sechs Spielzeiten – bis 1991 – steht Kout dem Orchester vor. Dem imponierenden Erbe des Chefamts am SSO stellen sich daraufhin in rascher Abfolge drei aufstrebende Dirigenten: Jun Märkl (bis 1994), Laurent Wagner (bis 1998) und Olaf Henzold (bis 2001). In diesem letzten Jahrhundertabschnitt erweitert das Orchester mit weiteren Gastspielen und Konzertreisen – etwa nach Tokio, Nantes, Solothurn und Norditalien – weit ausschreitend seinen Wirkungskreis. 1993 kann eine Aufstufung zum „A-Orchester“, der höchsten Tarifklasse für deutsche öffentliche Profiorchester, erzielt werden. 1994 erfolgt der Umzug der Sinfoniekonzerte in die Congresshalle, die seither die Heimstätte des spezifischen Klangs des Saarbrücker Staatsorchesters ist. Einen Rückschlag dieser Jahre stellt das Saar-Jahrhunderthochwasser 1993 dar, in dem trotz tätiger Hilfe von Orchester und Orchesterleitung etliches Inventar, Noten und Instrumente nicht gerettet werden können.

In den frühen 2000er Jahren komplettieren Open-Air-Promenadenkonzerte, die Teilnahme am Saarbrücker Kulturmeilenfest sowie populäre Filmkonzerte das Programm der Sinfoniekonzerte. Diese wiederum lenkt als neuer GMD ab 2001 Leonid Grin in neue Bahnen: Grins Favoriten, Tschaikowski und Schostakowitsch, werden zu bestimmenden Komponisten. Nach Leonid Grins Weggang im Jahr 2006 können unter den GMDs Constantin Trinks (bis 2009), Toshiyuki Kamioka (bis 2014) und Nicholas Milton (bis 2018) weitere internationale Erfolge erzielt werden. So führen Gastkonzerte das Staatsorchester in diesen Jahren etwa zum Mosel Musikfestival, ins französische Arsenal de Metz und an die Philharmonie Luxemburg. Im heimischen Saarbrücken etablieren sich die beliebten Abonnementfeste; neue Spielstätten wie das Weltkulturerbe Völklinger Hütte werden mit Erfolg ausprobiert. Die Termine der Sinfoniekonzerte wechseln auf Anregung Toshiyuki Kamiokas nach jahrzehntelanger Tradition zu einer Sonntagsmatinee und einem Hauptkonzert am Montagabend. Weiterhin entwickeln sich intensive Medienpartnerschaften mit dem Saarländischen Rundfunk und Deutschlandfunk Kultur, die zu reichweitenstarken Aufnahmen und Übertragungen (etwa des 8. Sinfoniekonzerts der Spielzeit 2002/03 in über zwanzig Länder) führen.

Heute ist das Saarländische Staatsorchester ein durch seine über hundertjährige Tradition fest im Saarländischen Kulturleben verwurzeltes Ensemble mit internationaler Ausstrahlung, das sich seit der Zeit seines Bestehens mit einem vielseitigen Konzertbetrieb einen individuellen, nur hier anzutreffenden Klang erwerben konnte. In den letzten Jahren konnte es so Stars der Klassikwelt wie beispielsweise Marc Minkowski, Thomas Sanderling, Camilla Nylund, Christian Elsner, Simon Höfele und Daniel Müller-Schott als Gäste der Sinfoniekonzerte für sich gewinnen.

Als „Artist in Focus“ lädt es darüber hinaus in jeder Spielzeit einen bedeutenden Komponisten oder Musiker der Gegenwart ein, zu welchen zuletzt etwa Jörg Widmann, Fazil Say, Christian Jost, Pascal Dusapin und Sarah Nemtsov zählten. Die neu ins Leben gerufene Konzertreihe „Showcase“, die äußerst populären Film-, Neujahrs- und Kinderkonzerte sowie die von Musikern des Orchesters erarbeitete Kammerkonzertreihe mit über einem Dutzend Matineen je Spielzeit vervollständigen den Spielplan. Darüber hinaus unternimmt es regelmäßige internationale Gastspielreisen, zuletzt beispielsweise nach Paris, Luxemburg, Rom und Zürich.

Unter Sébastien Rouland, der seit der Spielzeit 2018/19 das Amt des Generalmusikdirektors innehat, hat die französische Orchestermusik mehr denn je einen festen Platz im Konzertprogramm des Staatsorchesters. Mit Geschäftsführer Matthias Almstedt und Intendant Bodo Busse verbindet es seit 2008 bzw. 2017 eine rege und fruchtbare Zusammenarbeit.

Personen & Namen im Laufe der Zeit

Orchesterleiter

Cormann, Viktor 1912-1922
Tietjen, Heinz 1922
Lederer, Felix 1922-1935
Schleuning, Wilhelm 1935-1937
Bongartz, Heinz 1937-1944
Wüst, Philipp 1946-1964
Köhler, Siegfried 1964-1974
Prick, Christoph 1974-1977
Kuntzsch, Matthias 1977-1985
Kout, Jiri 1985-1991
Märkl, Jun 1991-1994
Wagner, Laurent 1994-1998
Henzold, Olaf 1998-2001
Grin, Leonid 2001-2006
Trinks, Constantin 2006-2009
Kamioka, Toshiyuki 2009-2014
Milton, Nicholas 2014-2017
Rouland, Sébastien seit 2017

Namen des Orchester

Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde (1912-1919)
Schauspielorchester (1919-1922)
Städtisches Orchester (1922-1938 sowie 1945-1977)
Orchester des Gautheaters Westmark (1938-1945)
Saarländisches Staatsorchester Saarbrücken (seit 1977)

 

Literaturhinweis: Dagmar Schlingmann, Matthias Almstedt (Hrsg.):
100 Jahre Saarländisches Staatsorchester. Saarbrücken, 2012.
 

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