Nach trubelsamen Wochen angefüllt von Krankheits- und Vorstellungs- wie Probenausfällen, schafft unsere nächste Uraufführung mit leichter Verspätung am heutigen Donnerstag dann doch die heiß ersehnte Premiere!
Dorian Brunz' psychologisches Kammerspiel DAS KIND MALT handelt von einem Paar in Auflösung: Sie erlebt als Sonderbeauftragte für die UNO gerade Karrierehoch und Once-in-a-lifetime-possibility und soll morgen schon in New York vereidigt werden, Er forscht und arbeitet seit Jahren aktiv im Klimaschutz und wird nächste Woche auf einer Konferenz in Zürich wichtige Ergebnisse vorstellen. So der Plan bis grade noch... Wäre da nicht mit einem Mal dieses Etwas im Nebenzimmer. Dieses Kind. Was genau es da treibt, weiß man nicht so genau. Angeblich malt es. Zumindest tat es das, als man zuletzt hingesehen hatte. Mittlerweile ist die Tür fest verschlossen, dahinter rührt sich nichts. Es ist mucksmäuschenstill. Nachsehen mag man trotzdem nicht: "wir wollen es nicht stören". Immerhin hat man schlechte Neuigkeiten, denn die Mutter des Kindes ist gerade in Seinem Beisein ihrem Krebsleiden erlegen. Ihr letzter hingehauchter Wunsch: Es soll euch gehören, denn "das Kind liebt euch. Das Kind hat angefangen, euch zu lieben."
Und ab hier wird in Brunz' Stück nicht nur die kinderlose Beziehung zweier erfolgsverwöhnter Karrieristen auf den Prüfstand gestellt, sondern mit ihr auch sämtliche Überzeugungen und sicher geglaubte Wahrheiten aus dem Lot gebracht und umgeworfen. Beide engagieren sich zwar aktiv um eine Verbesserung der Zustände, arbeiten hart und Vollzeit an der Rettung von Welt und Menschheit wenn man so will, aber wie noch am großen Ganzen festhalten können, wo am seltsam stummen Kind im Esszimmer die Nächstenliebe scheitert: "wozu bist du sonst gut. Gut im Leben, wenn du kein Kind großziehen kannst."
Schon Sigmund Freud meinte, wie dünn er doch sei, der Firnis unserer Zivilisation. Und Kurt Imhof ergänzte das Zitat noch um folgendes: "darunter brodelt die Barbarei." Und diese sehr spezielle, sehr böse und mitunter auch sehr komische wie kosmische Selbstzerfleischung eines Paares (denn nichts anderem wohnt man da bei) aufgeschrieben von Dorian Brunz, bereichert ab sofort unseren Spielplan! Herzlich willkommen! Unbedingt empfohlen!
Dorian Brunz wurde 1993 in Berlin geboren, studierte Geschichte und Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin und Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Weitere Stücke (darunter einige als Werkstattinszenierungen) liefen am Hans-Otto-TheaterPotsdam, in der Box des Deutschen Theaters, am bat-Studiotheater, sowie am Theater Koblenz und am Schauspiel Leipzig. Sein dort uraufgeführtes Stück beach house wurde zu den Autor:innentheatertagen nach Berlin eingeladen. Mit der Uraufführung von DAS KIND MALT in der sparte4 stellt er sich erstmals dem Saarbrücker Publikum vor. Regie führt Thorsten Köhler. Die stückbetreuende Dramaturgin Simone Kranz traf beide zum Gespräch.
Simone Kranz:Dorian, was bringt dich zum Schreiben?
Dorian Brunz: Meistens trage ich das Thema/ den Stoff schon ein paar Tage mit mir herum. Wenn das Ganze nach dieser "Abnutzung" dann immer noch genug Fragen aufwirft, ist das schon mal ein gutes Zeichen. Im besten Fall taucht das Thema plötzlich überall auf, ein bisschen so wie Schwangere, die auf einmal nur noch Kinderwagen sehen. Manchmal ist es ein Satz, oft ein merkwürdiges Phänomen oder Verhalten, das ich bei mir und anderen beobachte. Einmal war es auch eine fremde Frau in der S-Bahn, die mich an einem verregneten Novembertag getröstet hat. Mir fällt aber selten etwas ein. Es ist immer etwas, das auffällt und mich dann nicht mehr loslässt. Oft führt das dann zu einer Art Prämisse. Was wäre, wenn…? Sehr hilfreich ist es, wenn sich diese Frage nicht so schnell beantworten lässt. Vom ersten Gedanken bis zum ersten Satz vergeht also immer sehr viel Zeit. Die Stimmung und einzelne Sätze müssen mir dagegen schon früh klar sein, sonst fange ich gar nicht erst an.
SK: Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als du dachtest, ich will Schriftsteller werden oder gab es den nie?
DB: Ich fand die Vorstellung, Autor zu sein, vor dem Studium völlig absurd und ich hätte mich niemals getraut, das auch noch laut auszusprechen. Es war ein heimlicher Gedanke. So heimlich, dass man ihn sich verbietet, bis er unsichtbar ist. Der Spaß an Figuren und Geschichten, das "als ob", begleitet mich aber so lange ich mich zurückerinnern kann. Wenn ich als Kind im Kino war, habe ich meinen armen Schwestern danach Rollen zugeteilt, damit wir die Handlung nachspielen, abändern oder fortsetzen. Der reale Wunsch, Autor zu sein, entstand aber erst vor wenigen Jahren. Wahrscheinlich, als ich mein erstes Stück geschrieben habe. Da habe ich plötzlich gemerkt: Ich schreibe und merke überhaupt nicht, wie die Zeit dabei vergeht. Ein bisschen so wie damals beim Spielen.
SK:Thorsten, du liest als Leiter einer Spielstätte, die vor allem Plattform für junges Gegenwartstheater sein möchte, sehr viele neue Theatertexte. Was muss für dich ein Stück haben, damit du es auf den Spielplan der sparte4 setzt?
Thorsten Köhler: Fündig zu werden, ist da oft einfacher als gedacht, weil unter der Flut neuer Texte in meinen Augen nur wenige wirklich hervorstechen. Dabei geht’s mir sicherlich auch um die Suche nach ehrlichen, originären Stimmen junger Autor:innen. Viel zu oft wird da schon irgendwas oder -wem nachgeeifert oder der Versuch unternommen, modisch oder noch schlimmer: "richtig“ zu schreiben. Derlei Stücke leg ich dann meistens sofort beiseite. Überraschend sollt es sein und bleiben und sich selbst nicht zu ernst nehmen. Was Theater ja eh nie sollte.
SK: Die sparte4 ist mit ihren 89 Plätzen eine relativ kleine Spielstätte. Ist es schwierig, Verlage davon zu überzeugen, hier eine Uraufführung heraus zu bringen?
TK: Ich glaube, dass die sparte4 mittlerweile einen guten Ruf genießt unter jungen Dramatiker*innen und dem Regienachwuchs. Und wirkliche Probleme, eine Uraufführung an Land zu ziehen, hatten wir ja eigentlich noch nie. Ich erinnere da an Dave Eggers, der uns bereits im zweiten Jahr unserer Künstlerischen Leitung [Köhler leitet die sparte4 zusammen mit der Theaterpädagogin Luca Pauer; Anm. d. Red.] eine Welturaufführung eines seiner Romane erlaubte. Die Devise "fragen kostet nix“ hat sich da noch immer bewährt.
SK: Hier hast du dich entschlossen, selber Regie zu führen, was interessiert dich an dem Text?
TK: Was ich mag ist die Weite im Engen. Dass sich da eine irrsinnige Debatte um die vermeintlich ganz intime Frage eines Paares entspinnt, ob man gemeinsam ein Kind großziehen sollte. Ob der Lebensentwurf das aushält. Nur dass das Kind bereits mit Buntstiften im Nebenzimmer hockt. Und hier beginnt der Text mit einem Mal lebensbedrohlich zu werden, und grauenvoll und unheimlich und kosmisch. Aber eben auch sehr komisch. Das Stück funktioniert auf so vielen Ebenen und kann nebenher noch als Paradebeispiel gelten, was in unserer daueraufgeregten Gesellschaft, in unserem hysterischen Zeitalter derzeit so falsch läuft.
SK: Mit dem Attribut kosmisch beziehst du dich auf den Begriff der Kosmischen Angst, den du in die Probenarbeit eingebracht hast. Daniel Illger** beschreibt diese Angst als "Ahnung einer zweiten, verborgenen Wirklichkeit, die hinter der alltäglichen Wirklichkeit wartet – eine Wirklichkeit, die voller Grauen und Geheimnis ist, voller unbegreiflicher Wesen und Ursprung zermalmender Wahrheiten; (…) häufig nur eine falsche Abzweigung, ein kleines Irrlichtern entfernt von der Welt, die wir zu kennen meinen". Dorian, kannst du mit diesem Begriff in Bezug auf deinen Text etwas anfangen?
DB: Mir gefällt sehr an dem Begriff, dass er das nackte Grauen mit dem Vertrauten und dem Alltäglichen verbindet. Den blanken Horror an sich finde ich erstmal ziemlich öde. Erst wenn beide Welten aufeinandertreffen, das Vertraute und das Unbekannte, entsteht dieses unheimliche und überwältigende Gefühl, dass alles auch ganz anders sein könnte. Dieses Gefühl haben die meisten meiner Figuren. Ihre unheimlichen Ahnungen führen erst zur Handlung. Ein Kind, das im Nebenzimmer sitzt und malt ist ja auch erstmal ein sehr harmloses Bild. Friedlich. Entwaffnend. Das Kind sitzt einfach dort. Es ist ruhig und malt Bilder aus. Und trotzdem, oder besser gesagt, gerade wegen dieser Friedfertigkeit wirft das harmlose, unschuldige Kind alles durcheinander. Es verwüstet die sanierte Altbauwohnung mit all ihren Illusionen, ohne sich dabei zu regen und ohne dabei auch nur einen Ton von sich zu geben.
SK:Ella und Kai liefern sich ein verbales Scharmützel, das im Wunsch sich gegenseitig zu verletzen, an Stücke von Tennessee Williams, und in seiner Boshaftigkeit vielleicht auch an Yasmina Reza erinnert. Mitten in diese Auseinandersetzung hinein platzt die Nachbarin Linda, für die Ella und Kai so etwas wie ein Traumpaar darstellen. Thorsten, wie siehst du diese Figur?
TK: Erstmal ist es vielleicht am interessantesten, auf die Unterschiede in den Lebensentwürfen hinzuweisen. Da ist einerseits das power couple: gutaussehend, erfolgreich und gut situiert. Das sich im Hinblick auf ein Kind, das es nicht will (aber bereits ja doch irgendwie hat) zum ersten Mal mit einer wirklichen Existenzbedrohung konfrontiert sieht. Und dann ist da Linda mit ihren monströsen Zwillingen und deren Zahnputzfetisch, die gerade erst wieder mit einem Studium angefangen hat, für das sie sich schämt, weil möglicherweise schon zu alt und zu spät. Die ihren ursprünglichen Lebensentwurf also zugunsten ihrer Kinder aufgeben (oder zumindest pausieren) musste. Und die also die Auslöschung, vor der Kai und Ella sich am meisten fürchten, bereits am eigenen Leib erfahren und überlebt hat, um davon zu berichten. Und genau hierin kann man Linda durchaus zum kosmischen Prinzip erklären: denn manchmal antwortet das Universum eben. Oder es klingelt erbarmungslos zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt an der Wohnungstüre… verkörpert durch eine überforderte Mutter aus der Nachbarschaft. Oder in den Augen Kais und Ellas eben als grauenerregendes Ungeheuer aus den kalten sinnentleerten Weiten des Alls, vor dem es kein Entrinnen gibt. Nurmehr Selbstaufgabe und Kapitulation.
SK:Dorian, DAS KIND MALT ist dein erster Theatertext, der noch während deines Studiums und vor der Corona-Pandemie entstand. Trotzdem spiegeln die klaustrophobische Atmosphäre und die Unfähigkeit der Figuren zueinander zu kommen, etwas zutiefst Krisenhaftes. Siehst du diese Krise als gesellschaftlich bedingtes Phänomen?
DB: Die beiden Figuren Ella und Kai taumeln hin und her zwischen Angst, Resignation und Überforderung und dann wieder sind sie plötzlich voller Sehnsucht nach Zuneigung und Liebe, aber irgendwie funktioniert das einfach alles nicht. In diesem krisenhaften Zustand bleibt keine Zeit, um tatsächlich zueinander zu kommen. Es gibt seltene Momente, in denen es doch gelingt. Aber das passiert dann meistens nur aus Angst oder, um sich gegenseitig seiner eigenen Vortrefflichkeit zu versichern. Was fehlt, ist das Zusammensein ohne jeden Zweck. Die beiden ahnen, dass da etwas um sie herum ins Wanken gerät. Die Ahnung alleine könnte ihr Leben zerstören und sie können sich einfach nicht entscheiden, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Wahrscheinlich ist es das, was die beiden in diesem alptraumhaften Loop gefangen hält und ich habe das Gefühl, da sind die beiden keine Ausnahme.
DAS KIND MALT | UA von Dorian Brunz
Regie: Thorsten Köhler; Bühne und Kostüm: Justus Saretz; Musik: David Rimsky-Korsakow; Dramaturgie: Simone Kranz
mit Simone Müller Pradella, Martina Struppek, Raimund Widra
Uraufführung am 30. März 2023; weitere Vorstellungen am 5., 8., 21. und 30. April, und am 6., 12., 19. und 27. Mai; weitere Termine in Planung
BUCHTIPP(S)
Mit unserer Partnerbuchhandlung, dem buchladen im Nauwieser Viertel, möchten wir euch ab sofort als Ergänzung zum Premieren- oder Vorstellungsbesuch weiterführende Literatur empfehlen. Wir wollen interessierten oder neugierig gewordenen Zuschauer:innen so tiefere Einblicke in die weitere Konzeption eines Theaterabends ermöglichen. In Vorbereitung auf DAS KIND MALT und seiner Beschäftigung mit dem Kosmischen, las und empfiehlt Regisseur Thorsten Köhler folgende Bücher:
DANIEL ILLGER: KOSMISCHE ANGST Erschienen in der Fröhlichen Wissenschaft bei Matthes & Seitz Berlin, 240 Seiten 16,00 Euro
EUGENE THACKER: IM STAUB DIESES PLANETEN Erschienen bei Matthes & Seitz Berlin, 250 Seiten Übersetzt von Frank Born 24,00 Euro
MARK FISHER: DAS SELTSAME UND DAS GESPENSTISCHE Erschienen bei Edition Thiamat, 176 Seiten Übersetzt von Robert Zwarg 18,00 Euro
SIGMUND FREUD: DAS UNHEIMLICHE Erschienen in Reclams Universal-Bibliothek, 132 Seiten 5,20 Euro
In Kooperation mit
* mit diesem E-Letter dürft Ihr natürlich machen, was Ihr möchtet, ihn drucken, löschen oder wieder und wieder lesen. Aber am schönsten wär’s doch, finden wir von der sparte4, Ihr würdet ihn und seine frohe Kunde einfach weiterverbreiten. Nur zu! Immerhin heißt das Ding ja nicht umsonst KETTENBRIEF!
Abendkasse 0681 9590571 Ab einer Stunde vor Vorstellungsbeginn geöffnet.
Student*innen schauen für umsonst!
Kostenlose Theaterkarten erhalten Studierende der Universität des Saarlandes, der HTW, der HfM Saar und der HBK Saar im Rahmen der Kooperationsvereinbarungen gegen Vorlage ihres Studierendenausweises ab drei Tage vor der Vorstellung. Ausnahmen und Sonderregelungen bitte an der Theaterkasse oder bei der jeweiligen Hochschule erfragen.
Impressum Verantwortlich für den Inhalt des
Internetangebotes der Saarländischen Staatstheater GmbH im Sinne des Telemediengesetzes
(TDG): Generalintendant Bodo Busse, Kaufmännischer Direktor Prof. Dr. Matthias Almstedt |
Adresse: Saarländisches Staatstheater GmbH, Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken Karten Telefon Vorverkauf (0681) 3092-486, Abonnement (0681) 3092-482, Mail kasse@staatstheater.saarland | Öffnungszeiten Vorverkaufskasse: Dienstag bis Freitag 10 – 18 Uhr, Samstag 10 – 14 Uhr, Telefonisch auch montags 10 – 16 Uhr.
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